Zwischenseminar

Liebe Leute,

Hier kommt endlich der versprochene Artikel zu unserem Zwischenseminar in Bagamoyo Anfang Januar 2020.

Untergebracht waren wir in einem guten Hotel direkt am Meer (der Ort unseres Zwischenseminars auf Google Maps: https://maps.app.goo.gl/nKkxWQAfuia4KD4eA). Geleitet wurde das Zwischenseminar von Judith Wüllhorst (Hauptleitung) und vier weiteren ehemaligen Freiwilligen.

Soo, nun endlich zu den Inhalten, von denen diese Seminarwoche pickepackevoll war (Zusammenfassung findet der faule Leser am Ende des Artikels und verpasst etwas 😉 ):

Unsere Seminargruppe

Jede Entsendeorganisation, die wie das Bistum Münster von “weltwärts” (Dachverband des Bundes für Freiwillligendienste) unterstrützt wird, muss bestimmte Vorschriften vonseiten “weltwärts”’ befolgen . “weltwärts” schreibt zwei Vorbereitungs-Seminarwochen, eine Woche Nachbereitungsseminar (September ‘20) und eben eine Woche Zwischenseminar vor. Das Zwischenseminar soll für alle Freiwilligen ungefähr bei der Halbzeit liegen, für uns beide kam das Zwischenseminar nach ungefähr 5 Monaten. Vom 03.01. bis zum 10.01.2020 weilte unsere große 21-köpfige Gruppe von Bistums-Freiwilligen also in Bagamoyo, an Tansanias Ozeanküste, um zu reflektieren, evaluieren, zu diskutieren, dazuzulernen und auch in die Zukunft zu schauen.

Tag 1:

Jede_r hat durch eine malerische Gestaltung der Gruppe mitgeteilt, wie er/sie sich zum Beginn des Zwischenseminars fühlt. Diese Befindlichkeiten wurden auf Umschläge gemalt, in die ganze Woche über von allen Seminarteilnehmer_innen persönliche Nachrichten, Komplimente und andere unausgesprochene Mitteilungen eingeworfen werden würden.

Der Abend stand ganz im Zeichen des An- und Zusammenkommens: Bei Getränken wurde sich munter unterhalten, mit Seminarleitung und -teilnehmern, Freiwilligen aus Ghana, Ruanda, …

Tag 2:

An Tag 2 nahmen sogenannte „Fieberkurven“ einen großen Teil des Tages ein. Dabei wurde ein Diagramm mit einer Skala von +5 bis -5 und einer Zeitspanne von Ankunft bis Zwischenseminar gemalt. Dann hat jede_r verschiedene Verläufe eingezeichnet, zu den Themen Integration im jeweiligen afrikanischen Land, Wohnsituation, Gesundheit, Arbeit, Freiwilligen-Gruppe, und beliebigen weiteren Themen. In Kleingruppen (5 Freiwillige mit Teamer_in) wurden dann alle Fieberkurven ausführlich besprochen, wobei deutlich wurde, dass jede_r mit kleinen Problemen zu kämpfen hat.

Dann haben wir mit der ganzen Gruppe eine „KOOP“-Übung gemacht. Wir wurden am Strand mit verbundenen Augen verstreut und sollten alle sicher zurück in den Seminarraum kommen. Abgesehen davon, dass wir es alle geschafft haben, waren wir auch überrascht, was man aus dieser Übung ziehen kann. Wir haben gelernt, dass jede_r im Alltag abhängig vom Umfeld eine Rolle einnimmt, die sich sogar abhängig vom Umfeld ändern kann. Wir sollten uns unserer Rollen bewusst sein und sie vielleicht auch anpassen.

Als Abschluss des Tages haben wir, zurückblickend auf unsere ersten Halbjahre des Dienstes, verschiedene Fragen zu innerer Motivation, Hindernisse, Antrieb, Belastungen beantwortet. Diese Ausführung behielt aber jede_r für sich.

Tag 3:

Der 3. Tag war sehr anstrengend intensiv für alle, denn es wurden Projektgespräche geführt. Jedes Projekt-Gespann hatte ca. 2 Stunden Zeit allein mit zwei/drei Teamer_innen.

Was Ihr Euch sicherlich vorstellen könnt: Ein so enges Zusammenleben, wie wir Freiwilligen es in unseren Projekten führen, ist nicht immer einfach. Es gibt gute Zeiten, schlechte Zeiten, Meinungsunterschiede und Reibereien. Manches wird sofort ausgesprochen, Anderes bleibt verborgen. In diesem Projektgespräch sollte alles zur Sprache kommen, sodass jede_r von seinem Projektpartner weiß, was er/sie sich wünscht, was ihn/sie stört und wie man am besten als Team mit Verwerfungen umgehen kann.

Diese Gespräche waren tiefgehend und sicherlich nicht einfach, doch immens wichtig. Diesen Rahmen (mit zwei geschulten Teamer_innen, Gesprächsführung und Nachfragen) konnte uns nur das Zwischenseminar geben.

Tag 4:

Tag 4 begann mit viel Schwitzen. Wir schwitzten sowieso jeden Tag, aber heute stand eine Stadtführung durch Bagamoyo an.

Was hat Bagamoyo denn zu bieten? Die Antwort lautet: Kolonialgeschichte! Dazu eine kleine Einführung: Bagamoyo war als Küstenstadt Ankunftsort der deutschen Kolonialisten und strategisch sehr wertvoll für das Errichten von deutscher Herrschaft in „Deutsch-Ostafrika“. Bagamoyo war sogar die erste Haptstadt „Deutsch-Ostafrikas“. Somit hatten wir auf dieser Satdtführung die Gelegenheit, mehr als in der Schulzeit über Deutschland als Kolonialmacht zu erfahren (wie sehr das in unsere überhitzten Köpfe eindrang und hängen blieb, ist noch nicht geklärt).

Es ist sehr traurig, als junge_r Deutsche_r nach 12-jähriger Schulbildung (fast) nichts über die deutsche Kolonialherrschaft in Ostafrika, geschweige denn in Namibia zu wissen. Es gibt eine Menge ausländischer Geschichte, die uns präsenter ist als die kolonialen Verbrechen unserer Vorfahren. Das hat uns nachdenklich und mehr als skeptisch gegenüber unserer geschichtlichen Bildung gemacht.

Unser Stadtführer machte uns auf deutsche Straßennamen, eine von Deutschen gegründete „Shule“ aufmerksam und zeigte uns das ehemalige deutsche Verwaltungszentrum (German BOMA), eine Hinrichtungsstätte der Deutschen und einen deutschen Friedhof, um nur Einiges zu nennen).

Am Nachmittag ging es um das Denken in „Schubladen“, das wir alle von uns kennen. Innerhalb von Sekunden haben wir Menschen, die wir neu treffen, in bestimmte Schubladen in unserem Kopf einsortiert.

Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir dieses Einsortieren nicht verhindern können. Was wichtig ist: Die Schubladen müssen offen bleiben, sodass wir unsere Mitmenschen immer wieder neu einschätzen können, und dabei nicht von einer Schublade vorbestimmt sind.

Angeschlossen daran kam das Thema „Rassismus“ auf den Tisch. Durch Texte und eine Video-Vorlesung wurde uns bewusst, in welchem Ausmaß Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Viele von uns, und wahrscheinlich von Euch Lesern, haben es nur nicht so sehr mitbekommen, weil wir schlichtweg keine Betroffenen im engeren Sinne sind.

Der Vielschichtigkeit dieses Themas können wir hier nicht gerecht werden. Im hierauf folgenden Blogartikel stellen wir daher Bücher, Filme und Dokus vor, die Rassismus angemessen beleuchten.

Tag 5:

Am Morgen des fünften Tages bekamen wir Besuch von einer tansanischen Organisation, die u.a. tansanische Freiwillige nach Deutschland entsendet. Wir durften unsere Fragen stellen und haben gemerkt, dass wir es als deutsche Freiwillige in Tansania/Uganda/etc. viel einfacher haben als tansanische Freiwillige in Deutschland. Es gibt zum Beispiel mehr als 100 Bewerber auf bislang 2 Plätze.

Es wurde einmal mehr klar, wie privilegiert wir als deutsche Freiwillige sind und es herrschte eine Art Ärger, warum dieser „Austausch“ beinahe einseitig ist. Habt Ihr schon mal einen ugandischen Freiwilligen in einer Grundschule gesehen? Deutsche Freiwillige an ugandischen Schulen sind jedenfalls keine Seltenheit…

Dann ging es mit einer Einheit zur Berichterstattung weiter, es ging vor allem um das Blogschreiben und den Umgang mit Bildern, z.B. auf Instagram.

Insbesondere bei unserem Instagram-Account ist uns aufgefallen, dass wir komplett gegen (zumindest die europäischen) Datenschutzrichtlinien verstoßen (weshalb wir ihn jetzt richtig umgekrempelt haben). Auf unserem Blog könnten wir ein paar mehr kritische Blicke einbauen.

Tag 6:

Heute haben wir einen kritischen Blick auf unseren Freiwilligendienst geworfen und uns gefragt, ob es überhaupt sinnvoll ist, junge Abiturienten_innen für viel Geld ins Ausland zu schicken. Dazu sammelten wir Argumente für und gegen unseren Dienst, die wir gruppenweise in ein Theaterstück verpackten.

Wir haben uns zwar alle für einen Freiwilligendienst entschieden, doch es ist bei Weitem nicht alles positiv. (Erörterung zu Frewilligendienst folgt in einem weiteren Blogpost.)

Wir haben mitgenommen, dass es keine einmalige Entscheidung ist, ob man hinter einem Freiwilligendienst steht oder nicht. Es ist vielmehr eine Frage der ständigen/regelmäßigen Auseinandersetzung mit diesem Thema und mir selbst.

Am selben Tag beschäftigten wir uns mithilfe eines „Freeze-Theaters“ auch explizit mit unseren Privilegien. Denn es kann unangenehm sein, privilegiert zu sein. Das fühle ich besonders, wenn Menschen mich nach Geld fragen oder ich mir hier in Gulu etwas Größeres leiste. Nun kann ich etwas besser mit diesem unangenehmen Gefühl umgehen, doch will es auch nicht verlieren, denn es hilft mir, mir meiner Privilegien bewusst zu bleiben, sie wertzuschätzen und sie zu hinterfragen und zu bekämpfen. Denn wo jemand ein Privileg hat, hat jemand anderes es nicht.

Tag 7:

Am siebten Tag gingen wir auf Tuchfühlung mit Deutschland.

Erst ging es um um unsere Rückkehr nach Deutschland, die zum Glück erst in ein paar Monaten ansteht.

Dann kann es einen weiteren /überhaupt ersten Kulturschock geben, wir sollten mit unserer Berichterstattung nicht aufhören.

Es kann ziemlich lange dauern, bis man wieder richtig angekommen ist.

Und: Für jede_n wird die Rückkehr anders aussehen. Manchen wird sie leicht fallen, anderen schwerer; manche gewöhnen sich schnell wieder ein, andere langsamer; usw.

Wir unterhielten uns ebenfalls kurz über Besuche von Familienangehörigen oder Freund_innen, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Denn Besuch aus Deutschland würde emotional intensiv und wertvoll. Wer auch immer uns hier besuchen kommt, nimmt eine Menge auf sich, weshalb wir uns sehr wertgeschätzt fühlen sollten. Wir müssen auch im Kopf behalten, dass wir für unseren Besuch verantwortlich sind, als diejenigen, die Uganda jetzt kennen. Besonders skurril kann es bei den eigenen Eltern sein: Plötzlich sind wir diejenigen, die dafür sorgen müssen, dass die Familie heile zum Markt kommt.

Diesen letzten Abend verbrachten wir mit einem bunten Programm, das einen Wettkampf zwischen zwei Teams vorgab. In lustigen Outfits traten wir in Mini-Spielchen gegeneinander an, bis am Ende des Abends ein Siegerteam feststand.

Das war der Abschluss einer auch für unsere Gruppendynamik sehr wertvollen Woche: Wir haben einander in unserer Gruppe noch einmal besser kennengelernt und fahren zurück ins Projekt mit der Gewissheit, jederzeit mit einer/einem Freiwilligen aus Südafrika, Tansania, Ghana, Ruanda oder Uganda sprechen zu können.

Tag 8:

= Abschiedstag.

Hier gibt es nicht viel zu sagen: wir gaben einander mithilfe einer sogenannten „Abschiedsschnecke“ letzte Worte mit auf den Weg, bevor wir mit dem Dalla-Dalla (tansanischer Minibus) zurück nach Dar-es-Salaam fuhren.

Zusammenfassung:

Zum einen hat das Zwischenseminar für den weiteren Verlauf unseres Freiwilligenjahres viel gebracht. Wir sind uns bewusst geworden, wie viel Zeit schon vorüber ist und was wir schon erreicht haben, allerdings auch, wie viel Zeit voller Möglichkeiten noch vor uns liegt. Wir haben uns neue Ziele gesetzt und gemerkt, dass wir vielleicht hier und da unseren Fokus verschieben sollten.

Das Zwischenseminar hat zum anderen unsere Blickfelder erweitert.

Wir Freiwilligen kamen aus unserem Alltagstrott und wurden dafür sensibilisiert, was es bedeutet, einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Was es bedeutet, als gerade einmal 18-/19-Jährige_r durch Unterstützung des Bundes in fremden Ländern leben, ja sogar arbeiten zu dürfen. Wir sind uns einmal mehr bewusst geworden, welch riesiges Privileg dieses Auslandsjahr ist.

Genau daraus erwächst eine Verantwortung für uns, den kulturellen Austausch weiter voranzutreiben: angefangen bei diesem Blog bis hin zu Berichten, Vorträgen, etc. nach unserer Rückkehr nach Deutschland. Als Teil der Minderheit, die einen solchen Freiwilligendienst absolvieren darf, sind wir diejenigen, die sowohl in unseren Einsatzländern als auch zurück in Deutschland Perspektiven anderer Menschen weiten können und müssen.

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